von Dominik Neininger

 Im studentischen Diskurs, sei es in der Mensa, in Uni-Seminaren oder am Abend beim Stammtisch, gibt es kein Thema, das so oft in Erscheinung tritt, wie das des wachsenden Rechtspopulismus und das Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD). „Ich verstehe einfach nicht, wie man die AfD wählen kann“, meinte eine frustrierte Politikwissenschafts-Studentin erst letzte Woche auf einer WG-Party. „Diese Partei will keine Probleme lösen, sondern schürt nur Hass“. 

Nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten westlichen Gesellschaften kam es in den letzten Jahren zu einem Anstieg rechtspopulistischer Parteien. Dazu gehören der Front Nationale in Frankreich, Donald Trump in den USA oder die Freiheitliche Partei in Österreich. Sie alle eint die Sorge vor einem Verlust kultureller und nationaler Identität gepaart mit Vorurteilen und Ablehnung gegenüber anderen Kulturen. Speziell durch die Migrationsbewegungen erhielten diese Parteien vermehrt Wählerstimmen und sind mittlerweile in vielen nationalen Parlamenten vertreten oder sogar in Regierungsverantwortung. Bei der im Jahr 2018 stattgefundenen Landtagswahl in Hessen erhielt die AfD 13,1 Prozent der Stimmen, 2013 waren es nur 4,1 Prozent. Dies ist erstaunlich, da rechtspopulistische Parteien wie die AfD keine sachpolitischen Ziele ausgeben und keine wirklichen Inhalte umsetzen möchten. Sie genügen sich aktuell damit, die Regierung zu kritisieren und einen Verlust an Ordnung und Kontrolle zu beklagen. Zudem hegen sie einen Argwohn gegenüber dem elitären System, speziell dem der Medien, als Gehilfe des korrupten politischen Systems.

Die Wiederherstellung von Sicherheit, Ordnung und Kontrolle sind Aspekte, die gerne von autoritären Persönlichkeiten benutzt werden, um demokratische und freiheitliche Strukturen zu unterminieren. 

 Doch wer sind die AfD-Wählerinnen und Wähler? 

Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer forscht seit mehreren Jahren auf dem Gebiet autoritärer Einstellungen. Er identifiziert die typische AfD-Wählerschaft als durchschnittlich eher mittleren Alters, eher männlich als weiblich, eher ostdeutsch als westdeutsch, eher auf dem Land als in der Stadt beheimatet und oftmals mit einem mittleren Bildungsabschluss ausgestattet. Die meisten gehen einer Vollzeitbeschäftigung nach und üben eher einfache Tätigkeiten aus. Durch die Flüchtlingsbewegung wählten jedoch auch andere soziale Gruppen vermehrt die AfD. Zu diesen gehören speziell jüngere Menschen aus Ostdeutschland mit niedrigem Einkommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass AfD-Sympathisierende ausländerfeindlich sind, die NS-Zeit verharmlosen und sozialdarwinistische Einstellungen zeigen, ist deutlich höher als bei AfD-Ablehnenden. Speziell der letzte Punkt zeigt, dass viele AfD-Sympathisierenden nicht nur andere Kulturen abwerten, sondern ebenfalls Obdachlose und Arbeitslose. Viele AfD-Wählerinnen und Wähler entsprechen also gerade nicht dem gängigen Bild des frustrierten Arbeitslosen, sondern grenzen sich von diesem ab und befürworten eine stärker leistungsorientiere Gesellschaft gepaart mit einem rudimentären Wohlfahrtstaat.

Generell scheint die AfD-Anhängerschaft eher einen pessimistischen Blick in die Zukunft zu haben und das Gefühl eines Kontrollverlustes zu erleiden. Diese Kontrollverluste beziehen sich auf zwei Komponenten. Zu diesen gehören persönliche Elemente, die mit dem technologischen Wandel einhergehen und eine Art von Zukunftsangst auslösen. Speziell die Menschen, die im Zuge ihres Lebens nicht auf die neuen Entwicklungen, die durch Globalisierung und Digitalisierung entstehen, vorbereitet wurden, können sich nun schwieriger den sich verändernden Zuständen anpassen. Viele AfD-Wählerinnen und Wähler haben nicht das nötige Humankapital. Es fehlt ihnen oft an Sprachfertigkeiten und Wissen, um in einem neu entstandenen europäischen Wettbewerb den Anforderungen standzuhalten. Zudem scheinen einfache Berufstätigkeiten in naher Zukunft durch künstliche Intelligenz und deren Algorithmen ersetzbar zu werden. 

Die zweite Komponente bezieht sich auf die Politik und den Nationalstaat: Das politische System und deren Institutionen werden als abgehoben eingestuft und enttäuschen das Bedürfnis, gehört zu werden. Nach Angaben vieler AfD-Wählerinnen und Wählern komme der Staat seiner Aufgabe nicht mehr nach, die eigene Bevölkerung zu schützen. Dies bezieht sich zum einen auf die Bewahrung der eigenen kulturellen Identität, die durch die Aufnahme einer Vielzahl an Geflüchteten aus dem muslimischen Kulturkreis auf eine harte Probe gestellt wird und zudem auf die gefühlt gestiegene Bedrohung durch ausländische Kriminalität. Anderseits macht Heitmeyer die Abschwächung des Sozialstaates gepaart mit einer insgesamt neoliberalen Politikausrichtung in den letzten Jahren als wesentliche Ursache für das Erstarken autoritärer Einstellungen verantwortlich. So scheinen sich kapitalistische Prinzipien nicht nur im Politik- und Wirtschaftssystem ausgebreitet zu haben, sondern führten auch zu einer Entsolidarisierung in anderen gesellschaftlichen Bereichen. Gesellschaftlich anerkannte Werte und Tugenden werden durch Marktnormen ersetzt, aus Empathie, Loyalität und Treue werden Gewinnstreben und Nutzenmaximierung. 

In der Soziologie ist in den letzten Jahren eine Debatte entbrannt, was die primäre Ursache des Erstarkens rechtspopulistischer Parteien ist. Während einige den kulturellen Aspekt stärker betonen, machen andere den erstarkten globalen Finanz-und Wirtschaftskapitalismus verantwortlich. Beide Ansätze vereint die These, dass eine generelle Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation im Rahmen einer globalisierten Welt zu Frustration führt und dadurch autoritäre Einstellungen erwachsen.

In der Historie waren gesellschaftliche Veränderungen schon oftmals die Ursache für das Erstarken rechts- oder linkspopulistischer Parteien. Wilhelm Heitmeyer ist der Meinung, dass rechtspopulistisches Potential schon seit Beginn der 2000er in der deutschen Gesellschaft Jahre nachweisbar sei. Der Aufstieg der AfD erklärt er mit mehreren Ereignissen, die in den letzten Jahren stattgefunden haben. Dazu gehören die Europäisierung und eine Vermarktlichung sozialer Lagen, die Einführung von Hartz IV, die Wirtschafts- und Finanzkrise, der islamistische Terror und die Flüchtlingswanderung. 

Vernunft anstatt Emotionalisierung 

Auch wenn rechtspopulistische Parteien Hass schüren und keine wirklichen politischen Konzepte vorlegen, so sind diese dennoch in einem Punkt hilfreich. Sie müssen als Symptom gesellschaftlicher Unzufriedenheit wahrgenommen werden. Es hilft nicht, sich moralisch über AfD-Wählerinnen und Wähler zu erheben. Viel wichtiger ist es, die Ursachen des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Studierende haben oftmals nur Unverständnis gegenüber sozialen Milieus, in denen kulturelle Identität und Tradition als ein zentrales Element angesehen werden. Die meisten Studierenden identifizieren sich nicht mehr mit der gleichen Emotionalität zu ihrer Heimat und Deutschland. Ihnen geht es vielmehr darum, möglichst viel Welt in Reichweite zu bringen. Sie sehen sich, ähnlich wie die politisch-ökonomische Elite, als Teil eines geeinten Europas. An dieser Perspektive ist wenig auszusetzen, ist sie doch schließlich die einzige plausible Lösung, um in Zukunft wichtige Herausforderungen wie den drohenden Klimakollaps anzugehen. Dennoch ist ein gewisses Verständnis für andere soziale Milieus und deren Einstellungen notwendig. 

Zudem, und dies sei besonders hervorgehoben, ist es durchaus notwendig über die kulturelle Identität der westlichen Welt zu sprechen und ihre Wichtigkeit zu betonen. Die westliche Aufklärung, die sich seit dem 18. Jahrhundert ausbreitete, und das Fundament unserer heutigen Gesellschaften darstellt, muss bewahrt werden. Aspekte wie Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Gleichstellung von Mann und Frau, Bildung, Vernunft, säkulare Einstellungen und auf Wissenschaft basierende Erkenntnisse sind fundamentale Errungenschaften der westlichen Zivilisation, auf die auch in Zukunft weiteraufgebaut werden sollte. Weitere technologische Innovationen werden notwendig sein, um zukünftige Herausforderungen zu bewerkstelligen. Ein Rückfall in alte Zeiten, in denen Religionen sowie antiquierte Einstellungen das Handeln bestimmten und Menschen in ein Korsett zwangen, das keinen gesellschaftlichen Fortschritt zuließ, ist keine Option für die Zukunft. Ein radikaler islamischer Staat ist folglich ein genauso wenig wünschenswertes Ziel wie eine gehorsame und rassistische Kultur zur Zeit des Nationalsozialismus. Ironischerweise sehen viele besorgte linke Studierende die AfD und ihre Wählerinnen und Wähler als ein unheilvolles Bündnis, das genau in diese alten Zeiten zurückmöchte, während die AfD sich ebenfalls darum sorgt, durch eine Islamisierung des Abendlandes in vormoderne Strukturen überführt zu werden. Eine auf Vernunft, Wissen und moralischen Prinzipien basierende Weiterentwicklung der westlichen Gesellschaft ist die sinnvolle Antwort auf rückwärtsgewandtes Denken und ein emotional aufgeladenes Freund-Feind-Denken. 

 

Dominik Neininger ist Absolvent (M.A.) der Soziologie an der Uni Freiburg mit Schwerpunkt Makrosoziologie, Digitalisierung, Globalisierung und Wohlfahrtsstaatsanalyse.

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