Ein Hochschulstudium von Geflüchteten hat für alle Seiten positive Effekte. Dennoch ist der Anteil geflüchteter Studierender sehr gering. Welche Hürden stehen Studieninteressierten im Weg? Und wie können diese überwunden werden?

von Sarah Spasiano

Als Adil Ataki¹ in Deutschland ankam, hatte er ein festes Ziel vor Augen: Er wollte an die Universität. In Syrien hatte er bereits ein Semester Medizin studiert. Er sagt von sich:„Ich wollte immer studieren. Ich war ziemlich gut in der Schule“. Als die Sicherheitslage immer kritischer wurde, entschied Ataki sich zur Flucht. 2015 kam er in Freiburg an: „Von Anfang an habe ich mit dem Lernen der deutschen Sprache begonnen. Ich wusste, dass Sprache eine Voraussetzung ist.“ Denn Ataki wollte auch in Deutschland studieren. Ein deutscher Universitätsabschluss könnte ihm bei seinem großen Vorhaben helfen: Eine Organisation zu gründen, die sich für Frieden im Nahen Osten einsetzt.

Ein Studium wirkt sich für Menschen mit Fluchterfahrung auf verschiedene Weise positiv aus. Es ist zwar nicht der schnellste Weg in den Arbeitsmarkt, dafür aber ein relativ nachhaltiger und sicherer. Es kann für Geflüchtete, die in Deutschland unter Marginalisierung leiden, eine wichtige Erfahrung von Empowerment bedeuten. Bei einer möglichen Rückkehr können Menschen aus Kriegsgebieten, die im Exil studiert haben, eine entscheidende Rolle beim Wiederaufbau und dem Friedensprozess spielen. Adil Ataki ist mit seiner Vision von der Gründung einer Friedensorganisation keineswegs ein untypisches Beispiel. 

Zudem kann Bildung dazu beitragen, Identitäten zu erneuern, Traumata zu bewältigen und Wege zur Selbstverwirklichung zu eröffnen. Umgekehrt werden die Vorteile der Internationalisierung von Hochschulen auch für das Ankunftsland von kaum jemandem angezweifelt: Durch den Austausch unterschiedlicher Perspektiven und von neuen Anregungen profitieren WissenschaftlerInnen und Studierende. Das Ansehen einer Universität ist heute nicht zuletzt vom Grad der akademischen Internationalisierung abhängig.

Steine im Weg …

Trotz all seiner Vorzüge steht der Zugang zu Hochschulbildung für Geflüchtete nicht auf der politischen Agenda der Bundesregierung. Sie sieht stattdessen die schnelle Integration in den Arbeitsmarkt vor– zumindest für diejenigen Geflüchteten, die eine gute Bleiberechtsperspektive haben. So sollen Geflüchtete in Deutschland besonders dafür eingesetzt werden, branchenspezifische Lücken zu füllen: also den Fachkräftemangel etwa in der Pflege, im Handwerk und in der Gastronomie zu beheben. Das wird etwa in der Debatte um das im November 2018 vorgestellte Fachkräfte-Einwanderungsgesetz sichtbar: Geflüchtete, die diese Lücken im Arbeitsmarkt füllen, sollen mit einem sicheren Aufenthalt von fünf Jahren belohnt werden. Dabei geht es oft um unattraktive Jobs, die sonst niemand machen will. Es wird von der Politik hingenommen, dass Menschen unter teilweise prekären Umständen arbeiten und dabei an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, selbst wenn sie hochqualifiziert sind.

Neben dem Problem, dass der Hochschulzugang für Geflüchtete nicht ausreichendend gefördert wird, gibt es auch asylrechtliche Regelungen, die Geflüchteten Steine in den Weg zu den Universitäten legen. Asylrecht und Hochschulrecht sind schlecht aufeinander abgestimmt und verfolgen unterschiedliche Ziele: Während das Asylrecht auf Abschottung und Selektion abzielt, wird im Hochschulbereich auf Internationalisierung gesetzt. Das Ergebnis ist eine unübersichtliche und teilweise widersprüchliche Rechtslage, die Geflüchtete bei Studieninteresse mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert. Besonders in Anbetracht der fortschreitenden Internationalisierung der Universitäten, die mit umfangreichen staatlichen Mitteln gefördert wird, ist dies unverständlich. Ebenso unbegreiflich ist, dass einer der häufigsten Gründe, warum internationale Studierende ihr Studium in Deutschland abbrechen, rassistische Anfeindungen sind. Auch meine GesprächspartnerInnen konnten davon berichten. 

Hochschulbildung für Geflüchtete steht nicht auf der Agenda der Regierung

Bei einer Immatrikulation besteht oft die größte Schwierigkeit darin, Deutschkenntnisse auf dem erforderlichen C1-Niveau gemäß des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) nachzuweisen. Obwohl der Hochschulzugang formal nicht an den Aufenthaltsstatus gekoppelt ist, wird dabei deutlich, dass der Aufenthaltsstatus zum Ausschlusskriterium werden kann. Denn Personen mit schlechter Bleiberechtsperspektive, Menschen in der Duldung und ähnlichen Kategorien haben kaum die Möglichkeit, adäquaten Deutschunterricht zu bekommen und das erforderliche Sprachniveau zu erreichen.

… und Unterstützung am Wegrand

So kommt es, dass studieninteressierte Geflüchtete oft nur durch großes eigenes Engagement und viel Unterstützung durch Externe ein Studium beginnen können. Dies erklärt den geringen Anteil geflüchteter Studierender: Hochrechnungen des DAAD zufolge bringen zwar 30.000 bis 50.000 Menschen mit Asylstatus in Deutschland die Voraussetzungen zum Studieren mit. Eingeschrieben waren davon im Wintersemester 2017/18 aber lediglich 3.000. Da die Sprach- und Vorbereitungskurse für ein Studium meist zwischen zwei und drei Jahren dauern, ist bald mit einem Anstieg der Zahl geflüchteter Studierender zu rechnen. Zumindest einige derjenigen Geflüchteten, die 2015 und 2016 in Deutschland ankamen, werden in den nächsten Monaten und Jahren ein Studium aufzunehmen können².

Im Gegensatz zur Bundesregierung sind die Hochschulen meist um die Öffnung für Geflüchtete bemüht. BildungsberaterInnen und Ehrenamtliche an den Hochschulen können dazu entscheidend beitragen. So auch im Fall von Adil Ataki, der über den Kontakt zu Ehrenamtlichen von kostenlosen Deutschkursen erfuhr, durch die er die erforderlichen Sprachkenntnisse erwarb– der erste große Schritt zur Immatrikulation. Auch darüber hinaus schätzt er die hilfreiche Unterstützung seines sozialen Umfeldes. Inzwischen studiert Ataki Wirtschaftsinformatik. Er möchte dieses Privileg nutzen: Schon jetzt plant er mit Freunden vor Ort die Gründung einer Organisation in Syrien, die zur Befriedung der Region beitragen soll. Er will nach Syrien zurückkehren, sobald es die Lage zulässt. Durch einen deutschen Studienabschluss würden ihm auch dort viele Türen geöffnet, sagt er. 

Auch Omar Borlan kam aus Syrien nach Deutschland mit der festen Absicht zu studieren. Den asylrechtlichen Status als anerkannter Flüchtling sieht er als Privileg, das ihm die Möglichkeit zum Studium eröffnet. Auf der anderen Seite erlaubt ihm die Selbstidentifikation als Student, die Stereotype, die mit dem Status als Flüchtling verbunden sind, abzulegen: „Das Problem ist, dass die meisten Leute immer denken: ‚Er ist Flüchtling, hat kein Geld, nichts zu tun, man muss ihm helfen.‘ Das hasse ich wirklich. Deswegen sage ich immer, wenn ich Leute kennenlerne: ‚Ich bin Masterstudent‘“.

Borlan möchte in Deutschland bleiben und sich hier eine Karriere und eine Familie aufbauen, ohne um sein Leben fürchten zu müssen. Sein Masterstudium in Biophysik ist dafür eine gute Voraussetzung, allerdings auch kein leichtes Unterfangen. Borlan macht verschiedene Nebenjobs, um sich finanziell über Wasser zu halten, und so wird sich sein Studium wohl um einige Semester verlängern. Gegenüber ihren nicht geflüchteten KommilitonInnen stehen Geflüchtete oft unter einem höheren Existenzdruck, denn sie haben weniger soziale Absicherung und sind größeren wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt.

Gezielte Förderung ist nötig

Die Schwierigkeiten, denen sich Geflüchtete auf dem Weg in die Universität stellen müssen, zeigen deutlich, wie im Bildungssystem soziale Ungerechtigkeiten reproduziert werden. Von Erleichterungen beim Zugang zu Universitäten und gezielter Förderung von benachteiligten Personen könnten nicht nur Geflüchtete, sondern auch andere marginalisierte Gruppen profitieren, wie etwa Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus, Menschen mit Behinderungen oder Menschen, die von strukturellem Rassismus betroffen sind. Die Universitäten und die Bildungspolitik stehen angesichts zunehmender Bewerbungen von studieninteressierten Geflüchteten vor der großen Herausforderung, um die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen und strukturelle Benachteiligung auszugleichen. Dafür braucht es unter anderem eine Anpassung des rechtlichen Rahmens und ausreichende Finanzierung.

Ein verbesserter Hochschulzugang für Geflüchtete würde in der Konsequenz eine liberalere und menschenwürdigere Asylpolitik bedeuten. Derzeit sieht es aber nicht so aus, als ob diese politisch gewollt ist.

 

Sarah Spasiano studiert Internationale Migration und Interkulturelle Beziehungen in Osnabrück. In ihrer Bachelorarbeit am Institut für Ethnologie in Freiburg forschte sie zum Thema Hochschulzugang für Geflüchtete.

Anmerkungen: 

¹Alle Namen wurden zum Schutz der Persönlichkeit geändert.

²Bei diesen Zahlenangaben ist die Datenlage schwierig: Da der Aufenthaltsstatus bei der Immatrikulation nicht erfasst wird, können nur Schätzungen über die Zahl eingeschriebener Geflüchteter angegeben werden. Auch die Zahl der Geflüchteten, die die Voraussetzungen zum Studieren haben, ist mit Vorsicht zu lesen. Sie sagt nichts über das Studieninteresse aus und erfasst jene nicht, die nach ihrer Flucht ein deutsches Abitur ablegen und als ‚BildungsinländerInnen‘ gelten.

 

Dieser Text ist der Einleitungsartikel zum Themenschwerpunkt „Verschwörungstheorien“ der Zeitschrift zwischen Nord und Süd – iz3w (#371, März/April 2019).

Weitere Infos unter: www.iz3w.org

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