#Notheidisgirl, „Riots not Diets“, plus size und body positivity sind vielen von uns ein Begriff und sie haben auch alle etwas gemeinsam: das Körperbild. In diesem Artikel soll es um Körper gehen, die beispielsweise als „dick“ oder „fett“ gelabelt werden und wodurch die besondere Diskriminierungsform des fat-shamings besteht.
Von Frederike Matz und Kira Serediuk
#Notheidisgirl, „Riots not Diets“, plus size und body positivity sind vielen von uns ein Begriff und sie haben auch alle etwas gemeinsam: das Körperbild. In diesem Artikel soll es aber im Speziellen um eine ganz besondere Art von Körpern gehen, besser gesagt um viele verschiedene Arten von Körpern. Und zwar um dicke, mollige, stämmige, volle, plus size, vollschlanke, fette, breite, übergewichtige Körper. Denn diese Arten von Körpern stehen selten im Vordergrund – und wenn, dann nur, wenn es um’s Abnehmen geht. Was kann denn schon an ein paar Adjektiven problematisch sein?
Tatsächlich sind nicht die Adjektive selbst das Problem, sondern die Assoziationen damit und das Verhalten von Menschen und Gesellschaften dazu. Bist du fett, bist du nicht nur fett. Nein, du bist ungesund, faul, dumm, unhygienisch und hässlich. Das sind die Adjektive, die uns automatisch in den Sinn kommen, wenn wir an ‚fett‘ oder ‚dick‘ denken. Diese Assoziationen sind aber nicht auf einmal aufgetaucht, sondern sie haben sich langsam entwickelt. Wenn also ‚dick‘ irgendwann mal nur als neutrale Beschreibung gesehen wurde, wird es jetzt als Beleidigung gefasst, da es ja automatisch ‚hässlich‘, ‚dumm‘, etc. bedeutet. Diese negativen Assoziationen sind Teil einer Diskriminierungsform, nämlich Fettphobie und fat shaming. Das Urban Dictionary bezeichnet fat shaming als „the act of poking fun of someone for being overweight, or telling someone they are worthless, useless, lazy, or disgusting because they are overweight“.
Doch diese Definition beschreibt nur eine Schicht von Dicken_Diskriminierung, nämlich die auf einer individuellen und zwischenmenschlichen Ebene. Fat shaming und Fettphobie gehen jedoch tiefer. Egal in welchem Bereich der Gesellschaft, es finden sich unendlich viele Beispiele, die zeigen, dass fat shaming in der Gesellschaft durchgängig akzeptiert und sogar institutionell gesichert ist.
Natürlich ist body shaming, also Menschen generell wegen ihrem Körper zu verurteilen und sich deswegen über sie lustig zu machen, nie okay, jedoch passiert das bei Menschen, die in die gesellschaftlichen Normen passen, z.B. schlanke Menschen, nur auf einer individuellen und nicht institutionellen Ebene. An diesem Punkt werde ich viele Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung als fette, dicke oder übergewichtige Person nennen, aber auch sonstige Beispiele, welche zeigen sollen, wie tief verankert fat shaming ist. Und obwohl dicke Menschen in Film und Fernsehen als übermäßig witzig dargestellt werden, um ihr Aussehen ‚wettzumachen‘, macht es überhaupt keinen Spaß von fat shaming betroffen zu sein. Denn neben den Klischees und Stereotypen, denen dicken Menschen in ihrem Alltag ausgesetzt sind, gibt es viele weitere Beispiele von Diskriminierung gegenüber dicken/fetten Menschen.
Was die Darstellung von dicken Menschen, insbesondere dicken Frauen*, angeht, so kommen diese überaus selten im Film oder Fernsehen vor, und wenn überhaupt, dann als Bösewicht, nebensächliche Freundin, Superlustige, oder sie werden auf ihrem Weg zum Wunschgewicht begleitet. Weil dicke Menschen ja nicht die Hauptdarsteller*innen sein können, die sich verlieben und auch zurück geliebt werden, die nicht nur humorvoll sind, die einen komplexen Charakter haben, die ein gutes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein haben, die nicht immer nur abnehmen wollen, sondern sich in ihrem Körper wohlfühlen, oder?!
Tatsächlich sind nicht die Adjektive selbst das Problem, sondern die Assoziationen damit und das Verhalten von Menschen und Gesellschaften dazu.
Repräsentation in den Medien ist unglaublich wichtig, und leider wird momentan durch die fehlende oder stereotype Darstellung von dicken Menschen Fettphobie und fat shaming immer noch stark gefördert. Schon alleine der Besuch bei eine*r Ärzt*in zeigt, wie selbst ausgebildete Ärzt*innen ein stark stereotypisches Denken haben und oft vom Aussehen ihrer Patient*innen auf einen gewissen Gesundheitszustand schließen. Bei einem Besuch beim Arzt klagte ich über Müdigkeit und Schwindel und hatte anscheinend einen Wunderarzt vor mir.
Kurz Blutdruck gemessen, welcher normal war, und schon hatte er mein Problem erkannt! Gesünder essen und Sport machen war sein Allheilmittel. Ich war etwas überrascht, wie schnell das doch ging. Es gab keine Untersuchungen, mir wurden auch keine Fragen zu meinem Lebensstil gestellt. Ob ich rauche, Alkohol oder sonstige Drogen konsumiere, wie ich mich ernähre oder ob ich arbeite oder studiere, kam nicht zur Sprache, denn die Lösung war ja klar: Abnehmen. Dieses Problem haben neben mir auch zahlreiche andere dicke Menschen, was es umso schwieriger macht, zum Arzt zu gehen, da ich eine angemessene Untersuchung und Behandlung erwarte, ohne dass mein Gewicht die einzige Rolle spielt. Dies führt dazu, dass viele Übergewichtige und Dicke den Arztbesuch meiden, da es sowieso klar ist, was sie geraten bekommen. Im schlimmsten Fall kann es durch diesen Tunnelblick aufs Abnehmen zu Fehldiagnosen und Nichterkennen von schweren Krankheiten kommen.
Aber nicht nur bei Ärzt*innen wird institutionelles fat shaming sichtbar. Auch beim Einkaufen im Internet oder in der Stadt. Als Studierende*r mit wenig Geld ist es als Dicke*r umso schwieriger, Kleidung zu finden, die passt und auch gut gefällt. Ob es nun die klassische Kleidungskette ist, der Second-Hand Laden, der Flohmarkt oder die Kleidertauschparty. Meist gehen die Größen von XS bis XL. Danach hört es auf. Und wir alle wissen, dass XL nicht gleich XL ist. Somit ist es für dicke Menschen, die diesen konstruierten Größenrahmen überschreiten, fast unmöglich, schöne und bezahlbare Kleidung zu finden. Doch im Zeitalter des Internets gibt es doch sicherlich passende Kleidung online zu finden? Dies stimmt teilweise, oft sind jedoch die Klamotten ähnlich wie Müllsäcke oder sie sind erheblich teurer als die Standardware im Laden. Aber auch was Fluggesellschaften angeht, werden regelmäßig dicke Menschen diskriminiert. Natürlich sind die Sitze häufig zu klein und zahlreichen dicken Menschen wird dadurch der Flug oder die Fahrt erschwert oder unmöglich gemacht.
Diskriminierend für dicke Menschen ist es auch bei der Verbeamtung. Wird ein BMI über 30 überschritten, ist es sehr schwierig, verbeamtet zu werden. Rauchen oder Alkoholkonsum werden jedoch nicht beachtet, wenn es um die Verbeamtung geht. Dabei sind das doch mindestens ähnliche Gesundheitsrisiken wie Übergewicht. Die Frage, die sich dabei stellt, ist, wie die Fähigkeit, zu unterrichten, mit dem Körpergewicht zusammenhängt. Tatsächlich haben Studien belegt, dass Körpergewicht nicht mit Gesundheit zusammenhängt, und dass fat shaming einen direkten Einfluss auf das psychische und physische Wohlbefinden von dicken Menschen hat.
Oft haben dicke Menschen ein schlechtes Selbstwertgefühl, was von fat shaming und Dicken_Hass durch Familie, Freund*innen, Lehrer*innen, aber auch durch die Medien ausgelöst wurde. Die Fett_Aktivistin Virgie Tovar sagt dazu: „Do I wish I weren’t fat? No. I wish I didn’t live in a culture that promotes fatphobia. The solution to bigotry is not to eradicate the target, but to eradicate the bigotry itself”.
Vor allem wenn fat shaming von vertrauten Personen kommt, ist es sehr verletzend und kann auch die Beziehung beeinflussen, da oft die logische Konsequenz ist, sich zurückzuziehen, wenn fast täglich ‚gut gemeinte‘ Ratschläge zum Abnehmen, ‚kaschierender‘ Kleidung, usw. kommen. Dicken_Diskriminierung betrifft alle Menschen, die von ihrem Umfeld als ‚zu dick‘ (Was bedeutet das überhaupt? Wo wird die Grenze gesetzt?) gesehen werden. Allerdings ist fat shaming bei Frauen* besonders schlimm, da die Schönheitsnormen generell für Frauen* strenger sind und rigoroser durchgesetzt werden, da oft von ihnen verlangt wird, ‚schön‘ zu sein. Das wird auch in der Filmindustrie sichtbar, da es für dicke oder von den Schönheitsnormen abweichende Männer* oft einfacher ist, komplexe Rollen zu bekommen.
Dick/Fett sein bedeutet andererseits auch, mehr Raum einzunehmen als andere, dünnere Menschen, was von Frauen* nicht wirklich gern gesehen wird. Deswegen muss Fettphobie in feministischen Kreisen thematisiert werden, denn auch diese Räume sind leider nicht frei von fat shaming und Dicken_Diskriminierung.
Ein paar Tipps für betroffene Menschen:
• Schließt euch zusammen, denn es ist unglaublich bereichernd, Freund*innen zu haben, die dieselben Diskriminierungserfahrungen machen!
• Im Internet gibt es unendlich viele coole Aktivist*innen, die gegen fat shaming und Fettphobie kämpfen und viele gute Tipps haben.
• Beim Ärzt*innenbesuch kannst du fragen, ob diese Behandlung oder Empfehlung auch für eine schlanke Person gilt, oder was eine Alternative zum Abnehmen ist.
• Umgib dich mit Menschen, die dich unterstützen und feiern, egal wie viel du wiegst.
Für nicht Betroffene:
• Bedenke, dass deine Realität nicht der Realität von Menschen, die von Fat Shaming betroffen sind, entspricht.
• Beim Einkaufen, Abhängen oder beim Discobesuch: Bedenke, welche Probleme deine dicken Freund*innen betreffen können.
• Rede mit betroffenen Freund*innen und lasse sie wissen, dass du ihnen zur Seite stehst und fat-shaming nicht duldest.
2. August 2018 um 7:11
Super Artikel der gut über das Gesellschaftsproblem des Fatshamings berichtet!
Einziger Kritikpunkt:
„Tatsächlich haben Studien belegt, dass Körpergewicht nicht mit Gesundheit zusammenhängt, …“
Meine Google-Suchen nach Studien die dies belegen waren erfolgreich (1), allerdings fand ich auch sehr starke Kritik über die Glaubwürdigkeit dieser Studien (2).
Da dies anscheinend ein sehr kontrovers diskutiertes Thema in der Wissenschaft ist, finde ich die Aussage dass Körpergewicht nicht mit Gesundheit zusammenhänge sehr kritisch.
(1) https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/1555137
(2) https://www.hsph.harvard.edu/nutritionsource/obesity-study/