Inwiefern spielen psychische Erkrankungen im Hochschulalltag eine Rolle und welche möglichen Angebote gibt es für Betroffene?

von Rosa Padua

Laut einer aktuellen Studie der Barmer-Krankenkasse leiden knapp eine halbe Million Studierende an psychischen Erkrankungen, viele davon an Depressionen und Angststörungen. Auch Panikattacken nehmen bei jungen Menschen zu. Die Studie besagt, dass etwa jede*r vierte Studierende von einer psychischen Krankheit betroffen ist. Auch wenn heute mehr diagnostiziert werden würde als früher, sei dennoch eine hohe Zunahme psychischer Beschwerden während des Studiums zu beobachten. Als mögliche Gründe sieht Christoph Straub von der Barmer vor allem den steigenden Zeit- und Leistungsdruck im Studium. Auch die Techniker-Krankenkasse kam bei einer ähnlichen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass immer mehr Studierende psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Ihre Einschätzung: Dauerstress als Ursache.

Doch wie kann den betroffenen Studierenden seitens der Hochschule geholfen werden? Gibt es Möglichkeiten für einen Nachteilsausgleich bei beispielsweise einer Depression? Oder muss ein Urlaubssemester eingelegt werden? Beinträchtigungen durch psychische Belastungen und Krankheiten sind unsichtbare Phänomene an der Uni, ihre Entstehungsursachen vielfältig und oft auch unklar. Das ist der Grund, warum viele Betroffene befürchten, sich mehr erklären zu müssen, wenn sie das thematisieren wollen.

Mögliche Gründe: Steigender Zeit- und Leistungsdruck im Studium.

 Da eine psychische Erkrankung ein sensibles und persönliches Thema darstellt und nach wie vor einem gesellschaftlichen Tabu unterliegt, wird darüber Themen wohl kaum locker am Mensa-Tisch gesprochen. Um nicht ganz allein mit dem Thema zu sein, können Betroffene sich zunächst an die psychotherapeutische Beratungsstelle des Studierendenwerks wenden. Aber auch die Beratung für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung der Uni Freiburg ist eine potentielle Anlaufstelle. Ein Blick auf die Homepage verrät, dass die Beratungsstelle regelmäßig Angebote für spezifische Arten von Behinderung und Krankheiten anbietet. Neben einer Beratung für Studierende aus dem Autismus-Spektrum taucht auch explizit ein Angebot für Studierende mit psychischen Erkrankungen auf. Psychische Erkrankungen gelten nämlich unter bestimmten Voraussetzung als Behinderung, dazu müssen sie nicht dauerhaft vorliegen.

Eigentlich einleuchtend, immerhin wirst du durch beispielsweise eine Depression oder eine Zwangserkrankung schon erheblich in deinem Studi-Alltag behindert und hast Symptome, die Nachteile für dein Studium mit sich bringen und dich massiv im Handeln einschränken. Im baden-württembergischen Landeshochschulgesetz ist geregelt, dass die Hochschulen sich darum kümmern müssen, dass Studierende mit Behinderung oder einer chronischen Erkrankung ohne Benachteiligung studieren können und das möglichst ohne fremde Hilfe.

 Im 9. Sozialgesetzbuch finde ich folgende Definition von Behinderung: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“ Somit kann eine psychische Erkrankung unter diese Definition fallen. Die Frage ist eben: Fühlst du dich über längere Zeit im Studienalltag beeinträchtigt? Mit massiven Konzentrationsstörungen lässt es sich nur schwer büffeln. Symptome wie verminderter Antrieb oder eine verkürzte Aufmerksamkeitsspanne können den leistungsorientierten, oftmals langen Alltag an der Uni zur großen Herausforderung machen. Um bei psychischer Erkrankung genauso einer Benachteiligung entgegenzuwirken wie bei anderen Arten von Behinderung und chronischen Krankheiten, kann ein Nachteilsausgleich helfen. Hierbei geht es um den gleichberechtigten Zugang aller Studierenden zu Lehrveranstaltungen und Prüfungen. Doch viele Betroffenen wissen nicht, dass sie unter Umständen einen Nachteilsausgleich erhalten können. Die Regelungen hierzu sind teilweise schwer zu durchschauen. Auf den Seiten mancher Unis gibt es explizit Informationen hierzu, auf anderen Uni- Homepages wiederum fehlt davon jede Spur.

Mit massiven Konzentrationsschwierigkeiten lässt es sich nur schwer büffeln.

Doch was für Möglichkeiten gibt es denn jetzt?

Sind die Beschwerden akut und das Erbringen von Leistungen nur schwer bis überhaupt nicht möglich, steht die Behandlung und somit die Besserung des gesundheitlichen Zustands im Vordergrund. Wenn eine Prüfung ansteht, kann man sich aufgrund psychischer Erkrankungen genauso krankschreiben lassen wie bei einer Grippe. Bei einer länger andauernden Krankheitsphase, beziehungsweise erheblichen andauernden Einschränkungen im Studium, ist es ratsam, über ein Urlaubssemester nachzudenken. Das beurlaubte Semester gilt dann zwar als ein Hochschulsemester, aber nicht als Fachsemester – diese Unterbrechung des Studiums kann also beispielsweise helfen, wenn die Regelstudienzeit eingehalten werden muss. Hierzu muss ein Antrag auf Beurlaubung gestellt werden. So ein Antrag auf Beurlaubung kann in Ausnahmefällen (hierzu zählt Krankheit dazu) übrigens auch noch im laufenden Semester gestellt werden.

Psychische Erkrankungen während des Studiums können die Dauer des Studiums verlängern – ob mit oder ohne Beurlaubung. Wenn trotz allem regulär weiterstudiert wird, aber nur ein Bruchteil der geforderten Leistungen gestemmt werden kann, verlängert sich das Studium entsprechend. Um das zu vermeiden oder einer kompletten Unterbrechung des Studiums entgegenzuwirken, ist es wichtig, die betroffenen Studierenden mit ihren Bedürfnissen miteinzubeziehen. Hier können Nachteilsausgleiche eine Lösung sein. So ein Nachteilsausgleich kann sein, verlängerte Fristen für Prüfungs- und Studienleistungen zu erhalten, das Aufteilen einer größeren Prüfungsleistung in mehrere kleine oder mehr Zeit zum Schreiben einer Klausur, wie auch einen Ortswechsel der Klausur für die betroffene Person.

Der Spielraum an potentiellen Möglichkeiten ist groß – in der Theorie. In der Praxis muss jede Person individuell klären, was für sie am besten wäre und was für Möglichkeiten es genau in der jeweiligen Situation gibt. Nachteilsausgleiche müssen an der Uni beantragt werden und sind in den Studien- und Prüfungsordnungen geregelt. Dabei muss es um eine bestimmte (Prüfungs-)Situation gehen. Für einen Antrag auf einen Nachteilsausgleich an der Uni müssen Studierende keinen anerkannten Grad der Behinderung vorweisen (wie es bei anderen Nachteils- ausgleichen außerhalb der Uni der Fall ist), sondern es reicht ein ärztliches Attest. Darin stehen die Symptome, die den Studienalltag und besonders die Studien- und Prüfungsleistungen so sehr erschweren, dass die betroffene Person hier nicht die gleichen Chancen wie ihre Kommiliton*innen hat.

Oftmals schrecken Betroffene vor einer Beratung zurück, da sie eine Stigmatisierung befürchten. Zudem kann es unangenehm sein, in Erklärungsnot zu geraten. Die Angst davor kann auch abschrecken, zu einer Beratung zu gehen. Weil die Einschränkungen psychischer Art vielfältig und oftmals für manche Menschen weniger nachvollziehbar sind, als beispielsweise die bei einer Hörschwäche oder einem Beinbruch, sehen sich Betroffene schnell in einer Rechtfertigungslage, in der sie die individuellen Auswirkungen ihrer Behinderung beziehungsweise chronischen Krankheit erklären müssen. Die Beratungen sind jedoch vertraulich und unterliegen der Schweigepflicht. Die Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung im Service Center Studium berät auch anonym.

Zudem sind entsprechende Beratungsstellen mit den sensiblen Thematiken vertraut und mit den Problemen für Studierende, die damit verbunden sind. Anstatt eine Rechtfertigung zu verlangen, sind sie da, um Hilfestellungen anzubieten. Auch bei einer Krankschreibung bekommen die Kommiliton*innen nichts von den angegebenen Symptomen mit und auch das Prüfungsamt muss darüber stillschweigen. Es ist umso tragischer, wenn die Angst, darüber zu reden und die eigenen Rechte wahrzunehmen, noch mehr Nachteile im Studium mit sich bringt. Auch sollten die eigenen Möglichkeiten für Studierende in so einer Situation transparenter und einfacher zu verstehen sein. Umso weniger Hürden betroffene Studierende vorfinden, desto eher wird die Uni ihrem Anspruch auf Chancengleichheit gerecht.